Bouldern im Joshua Tree
Oder wie man Caveman und andere lustige Gesellen im JTree trifft…
Joshua Tree ist einer von 60 National Parks in den Vereinigten Staaten und liegt im südwesten Kaliforniens. Der Park ist circa 2-3h mit dem Auto von Los Angeles entfernt (nach amerikanischen Verhältnissen also quasi nebenan).
Als ich im September nach San Francisco gezogen bin, habe ich mir vorgenommen möglichst viele Gebiete in Kalifornien zu besuchen. Neben Yosemite und Bishop stand Joshua Tree weit oben auf der Liste. Ursprünglich war mein Plan für ein Wochenende nach Los Angeles zu fliegen. Als mein Freund Rustam mich dann fragte ob ich nicht spontan klettern gehen wollen würde, fiel die Entscheidung nicht schwer den Flug um eine Woche zu verschieben und nach Joshua Tree zu fahren. Einige Tage später kamen wir also in “JTree” an. Der Nationalpark ist in einer Wüste. Das bedeutet – falls ihr noch nie in einer Wüste wart – es gibt keinen Handyempfang, keine Restaurants, kein Wasser (weder zum trinken, noch waschen), keine Supermärkte, keine Hotels… Nur Wüste! So ganz stimmt das natürlich auch nicht: es gibt einige Campingplätze, mit Toiletten (ohne Wasser), Mülleimern und Feuergruben (aber kein Holz).
Möchte man eine Woche im Park bleiben sollte man sich also vorbereiten. Schritt 1 ist einkaufen; circa 30min von JTree entfernt gibt es einen riesigen Walmart. Dort könnt ihr Maschinengewehre, Pickup-Trucks oder auch Essen kaufen (Walmart hat alles!). Zudem sollte man sich mit Feuerholz und viel, viel Wasser ausrüsten. Ansonsten gibt es in Joshua Tree (dem Dorf am Eingang zum Nationalpark) einige Restaurants und Cafes.
Schritt 2 ist einen Campingplatz zu reservieren. Da es nur begrenzt Plätze gibt (von der Parkordnung vorgegeben), muss man hier teilweise Monate im voraus planen und einen Platz buchen. Haben wir aber nicht. Plan B ist also solange auf den vier Haupt-Campingplätzen im Kreis zu fahren bis sich jemand dazu erbarmt einen Platz zu teilen. Idealerweise sollte man hier früh morgens ankommen; zum einen sind die meisten Leute dann noch am Campingplatz und nicht am Fels, zum anderen gibt es viele die morgens aufbrechen. Leider kann man sich nicht immer einfach dazustellen – pro Station dürfen nur zwei Autos geparkt werden. Nach circa einer halben Stunde haben Rustam und ich dann jedoch einen Platz gefunden. Einfach freundlich sein und anbieten die Parkgebühr zu übernehmen oder zumindest zu teilen, und irgendwann findet sich schon jemand. Alternativ, wenn wirklich alles scheitern sollte, gibt es direkt außerhalb des Nationalparks diverse Airbnb Optionen.
Der Hidden Valley Campground auf dem wir schließlich untergekommen sind, ist der erste Campingplatz im Park und am beliebtesten bei Kletterern (und mit 44 Stellplätzen einer der größeren Campsites). Der Grund dafür ist einfach: einige der bekanntesten Boulder in JTree sind direkt auf dem Gelände des Campingplatzes. Die Caveman Traverse war wortwörtlich einen Steinwurf von meinem Zelt entfernt. Caveman wurde in den 70ern von der Kletterlegende John Bachar erst-begangen. Er gab dem Boulder damals den Grad V7. Dass der Boulder über knapp ein halbes Jahrhundert die Bewertung behalten hat ist bemerkenswert. Es ist eine wirklich schöne Route, mit einer abgefahrenen Toehook-Sequenz die ich am Fels so noch nie gesehen habe.
Henry in Caveman (V7)
Unser Nachbar Kai, der freundlicherweise seinen Platz mit uns geteilt hat, stellte sich als erfahrener Risskletterer heraus. Er hatte über die Jahre den Großteil der schweren Routen geklettert und konnte uns am ersten Abend diverse Routen empfehlen. Als er mich am nächsten Tag in Caveman sah meinte er halb beeindruckt, halb verächtlich: “Du bist also ein Boulderer, hmmm… Ich hätte da noch einen Tipp für dich. Probier mal The Inquisition, das ist ein V6 Boulder.” Etwas arrogant entgegnete ich: “V6? Klingt super, das kann ich!”. Kai, der ursprünglich Japaner ist und mich mit seinem Ziegenbart, sowie einer sehr mysteriösen Aura stark an Mr. Miyagi erinnerte, erwiderte: “Remember that”
Unser Ziel war aber dennoch primär traditionell zu klettern, und nicht zu bouldern. In Joshua Tree bedeutet das, dass man Rissklettertechnik beherrschen muss; es gibt kaum “normale” Routen. Nach einer kleinen Einführung von Rustam ging es also los. Und ich merkte schnell: es ist verdammt hart. Als ich anfing verzweifelt kleine Kristalle neben dem Riss zu greifen, wurde mir sehr schnell klar, dass Rissklettern absolut nichts mit normalem klettern, zu tun hat. Die Kristalle waren leichter zu halten als meine Finger in einen kleinen Felskanal zu schieben, zu verkanten, und gleichzeitig zu hoffen dass meine Zehen – die in einer ähnlichen Position steckten – nicht durchbrechen. Mir wurde auch schnell klar, dass Rustams Hauptqualität als Kletterer darin Bestand eine hohe Schmerztoleranz zu haben. Der Fels in Joshua Tree ist extrem rau und scharf. Abgesehen von viel Manox-Creme, empfehle ich jedem Ocun Risshandschuhe zu tragen. Eure Hände werden es euch danken.
Handschuhe empfohlen!
Wie der oben erwähnte Caveman Boulder, sind die Routen und Boulder in JTree generell berühmt und berüchtigt dafür ihre Schwierigkeit signifikant niedriger anzugeben als der Realität entspricht. Das geht sogar soweit, dass der Abstieg plötzlich zum Free-Solo-Abenteuer wird. Nach erfolgreichem Durchstieg einer – tatsächlich sehr schönen – Route im Sektor Hemingway kam ich in den Genuss eine 15 Meter Reibungsplatte rückwärts ohne Sicherung zu klettern. Im Führer stand, dass der Abstieg “eine leichte Platte” sei. Leicht für wen, ist da nur die Frage…
Man braucht aber auch gar nicht unbedingt dem Führer glauben um sich in unnötig dumme Situationen zu begeben. Nicht genügend erschöpft sind wir an einem Nachmittag zurück zum Real Hidden Valley Sektor gefahren (circa 10min zu Fuß vom Hidden Valley Campingplatz, oder zwei Minuten mit dem Auto). Wir dachten wir würden nur eine schnelle Route klettern. Unsere Route, llusion Dweller (aka Candy Colored Tangerine Flake Streamlined Baby), endet auf einer großen Felsformation, an der man einfach (dieses Mal wirklich einfach) entlang gehen kann um zurück zum Parkplatz zu gelangen. Um nicht abzuseilen zu müssen und Gewicht zu sparen dachten wir uns, dass es klug sein würde den Rucksack im Auto zu lassen. Großer Fehler. An der Route angekommen mussten wir auf eine andere Gruppe warten die bereits angefangen hatte zu klettern. Als wir endlich klettern konnte ging die Sonne unter. Kein Problem – wir hatten ja am Anfang des Tages unsere Stirnlampen in unseren Rucksack eingepackt. Verdammt…
Rustam auf dem Weg ins “Real Hidden Valley” (ohne Rucksack…)
Oben angekommen musste Rustam also mit iPhone-Licht versuchen einen Stand zu bauen, so dass ich nachsteigen kann. Als er endlich fertig war, war es stockdunkel. Da die Route im Mondschatten lag, hatte ich also das vergnügen quasi blind zu klettern und Rustams Klemmkeile aus der Wand zu zerren. Obwohl es nicht die beste Klettererfahrung war, war es die Aussicht am Ende der Route, oben auf dem Plateau dann letztlich doch wert. Unter dem Sternenhimmel, gefühlt endlos die Wüste zu überblicken ist doch ein besonderes Gefühl.
Genug Abenteuer, dachte ich mir, und machte Rustam klar, dass ich bouldern will. Zunächst gingen wir also in den Gunsmoke Sektor. Abgesehen von der namensgebenden Gunsmoke Traverse, gibt es hier diverse Klassiker. Zum aufwärmen gingen wir zu The Chube, erst-begangen von Russ Walling und Jerry Moffat in den 80ern. Die Amerikaner fanden den Britischen Akzent von Jerry und seinem Kletterpartner Ben Moon, so lustig, dass sie es im Namen des Boulders verewigt haben: “Named after the Tube also known as the London Underground Railway. Moffat and that funny accent always pronounced it chube instead of the American version, toob” (Quelle: Mountain Project). Trotz der leichten V2 Bewertung, ist der Boulder nicht ohne und hat einen gruseligen Mantel. Kurz nach meinem Durchstieg mussten wir leider beobachten wir jemand sich nach einem Sturz am letzten Zug den Fuß brach.
Streetcar Named Desire (8b)
Direkt hinter The Chube, ist Streetcar Named Desire. Im typischen Joshua Tree Style hat der Boulder genau gar keine Griffe. Fingerkraft hilft hier nicht viel weiter, gute Fußtechnik schon – ich brauchte circa eine halbe Stunde um überhaupt mit den Füßen vom Boden abzuheben. Wem langweilig wird empfehle ich direkt daneben Iron Resolution. Der 8B Boulder wurde in 2006 von Chris Sharma erst-begangen und ist vermutlich eine der schönsten Linien die ich je so gesehen habe.
Nachdem ich alle Boulder zumindest einmal probiert hatte, gingen wir wieder Rissklettern. Es war unser letzter Tag – unsere Haut war blutig, unsere Kraft erschöpft – wir hatten nichts zu verlieren. Wie entschieden uns also zu Rusty Wall zu gehen. Hier gibt es eigentlich nur zwei Routen, beide sehr populär. Wangerbanger (5.11c) war vermutlich meine Lieblingsroute des gesamten Trips. Die Route fängt mit einem recht breiten Riss an, welcher nach oben hin konstant schmaler wird. O’Kelley’s Crack (5.11a) hingegen beginnt mit einem (für Risskletterer) relativ schweren Boulder-Problem. Um den ersten Zug zu umgehen, hat eine andere Gruppe ein paar Steine an den Start gelegt. Kurz nachdem die Gruppe fertig war und abzog kam ein, und man kann es nicht anders beschreiben, laut schnaufender alter Mann, mit zuviel Sonnencreme im Gesicht, an. Der Mann war circa Anfang 50 und hörte Musik über Apple Airpods. Dank seines konstanten lauten Gesangs bin ich mir relativ sicher, dass er großer Mariah Carey Fan war. Da er laut Musik hörte konnte er auch nicht normal reden. Er schrie uns also ein freundliches “HELLO” entgegen. Als er dann jedoch den Start-Stein sah, schrie er “FUCKING PUSSIES” und schleuderte den Stein ins Tal. Und um die Situation nicht noch bizarrer zu machen, wartete der Mann bis wir fertig waren, zog seine Kletterschuhe an, kletterte beide Routen ohne Pause Rope Solo, und zog wieder ab.
O’Kelley’s Crack (5.11a) – Rissklettern vom Feinsten mit Starthilfe
Alles in allem ist Joshua Tree ein unglaubliches Klettergebiet. Die Landschaft ist einzigartig (die “Joshua Tree” Pflanze gibt es nirgendwo anders auf der Welt). Nachts sieht es aus als sei man auf einem anderen Planeten gelandet. Und egal ob Sportklettern, Trad oder Bouldern – für alle 3 Disziplinen gibt es Weltklasse Routen. Solange euch ihr kein Problem damit habt eine Woche ohne fließendes Wasser auszukommen wird euch Joshua Tree gefallen. Falls ihr euch übrigens wundert ob wir letztlich doch noch The Inquisition probiert haben und schon immer einmal wissen wolltet was ein “offwidth Boulder” ist… Nun, seht selbst:
Euer Henry

Steckbrief Henry Heinemann
Jahrgang: 1994
klettert seit: 2011
arbeitet: bei Cloudflare (the biggest internet company you’ve never heard of!)
mag: Schokolade
mag nicht: Sportklettern
mag manchmal: schlafen
aufgewachsen: in Hamburg
kletterte: Sportklettern ist nicht so mein Ding. Aber ich bin gut im Sichern!
boulderte: in fast 50 Hallen weltweit (ich bin ein Hallenkind, und stolz drauf!)