How to Brione

Etwas Emmentaler gefällig?


Brione ist ein kleines Dorf im Schweizer Tessin. Nicht weit entfernt von der Italienischen Grenze gelegen, ist der nächste Flughafen eine circa anderthalb stündige Autofahrt entfernt in Mailand. Das Dorf selbst befindet sich an einem Berghang circa 30 Minuten entfernt von Locarno, am nördlichen Ende des Lago Maggiore. Ebenfalls in der Nähe sind die Gebiete Cresciano und Chironico, welche oft im Zusammenhang mit Brione besucht werden. 

Da es bis Ende 2019 über Jahrzehnte keinen Kletterführer für Brione gab, zieht es hier primär erfahrene Kletterer an. Das Gebiet an sich ist sehr klein, hat aber eine unglaubliche Konzentration an weltklasse Bouldern im Grad 8a und aufwärts. Zudem wird es aktiv vom “who is who” des Klettersports weiterentwickelt, und erhält regelmäßig neue Erstbegehungen am oberen Ende, wie zum Beispiel in 2019 “Poison the Well” (8c+) von Giuliano Cameroni.

Dank des neuen Führers finden seit kurzem auch Boulder in leichterem Gelände mehr Aufmerksamkeit, dennoch ist das Gebiet hauptsächlich für seine Klassiker im 8. Grad bekannt. Besucher sollten also zumindest 8a projektieren können um die Highlights in Brione voll ausschöpfen zu können.

Da es im Sommer oft zu warm ist, ist Brione ein beliebtes Winterziel und zieht zum Neujahr viele Kletterer an.

Nachdem Brione schon seit Jahren ganz weit oben auf meiner Todo-Liste stand habe ich es endlich geschafft dieses Boulder-Mekka zu besuchen. Da es im Sommer oft zu warm ist, ist Brione ein beliebtes Winterziel und zieht zum Neujahr viele Kletterer an. Es gibt keinen Campingplatz, im Auto am Parkplatz übernachten wird jedoch toleriert. Aufgrund von nächtlichen Minustemperaturen wohnen die meisten, uns eingeschlossen, in einem der vielen kleinen Orte um Locarno.

Vom Tal am Fuße des Sees bei Locarno führt eine schmale Serpentinenstraße hinauf zum namensgebenden Dorf Brione. Obwohl der neue Kletterführer 19 Sektoren beinhaltet, lässt sich das Gebiet eigentlich in drei Teilen zusammenfassen: Der erste, und am leichtesten zu findende, Sektor, im Führer “Ganne” genannt, ist von einem Parkplatz, direkt hinter der letzten Brücke vor dem Dorf Brione zu erreichen. Wer weiter der Straße flussaufwärts folgt gelangt schnell zum Dorf, von wo aus ein weiterer Parkplatz Zustieg zum mittleren Sektor gestattet. Wenige Meter weiter ist, auf der anderen Seite der Strasse, noch ein Parkplatz welcher am Fusse des Weges zum oberen Sektors liegt. Zwar gibt es weitere Sektoren, diese sind jedoch deutlich weiter entfernt voneinander, haben einen schwierigeren Zustieg und häufig nur wenige Boulder. Da wir nur eine Woche Zeit hatten, fokussierten wir uns also auf die am konzentriertesten Gebiete.

Henry beim ausbouldern des Topouts von “Amber”

Meine Crew bestand dieses mal aus Chris(tian) aus München, sowie Chris(toph) aus Boston. Beide waren vorher bereits in Brione und kannten sich dementsprechend schon etwas aus. Um mir etwas das Gebiet zu zeigen, führten die beiden mich also zunächst zum unteren Sektor. Nach kurzem aufwärmen ging es direkt mit “Entwash” (8a) los. Mir wurde sofort klar, dass ich die Kälte etwas unterschätzt hatte, da ich weder Finger noch Zehen so richtig spüren konnte. Obwohl es im Tal relativ warm ist, ist es im Gebiet selbst deutlich kälter. Brione liegt in einem Tal zwischen zwei Bergen und hat dementsprechend nur wenige Sonnenstunden. Wir kamen in der Regel gegen 10 Uhr morgens am Parkplatz an, und obwohl die Sonne erst gegen 17 Uhr unterging, war sie bis Mittag schon verschwunden und hinterließ das Gebiet für den rest des Tages im Schatten. 

Als es dann, aufgrund erhöhter Luftfeuchtigkeit am Fluss, auch noch etwas feucht wurde und der Boulder etwas schmierig war, gingen wir kurz darauf wenige Meter weiter zu “Wie im Urlaub” (7c+). Anders als “Entwash”, welcher ein sehr kompakter Leisten-Boulder ist, ist “Wie im Urlaub” ein Boulder mit nur einem schweren Zug – ein Sprung von einem Sloper an einen guten Aufleger. Wem das zu einfach ist kann alternativ noch den vor kurzem von Giuliano Cameroni erst-begangenen Sitzstart versuchen (8b+). Nachdem Chris und Chris nicht so gerne springen wollten und mir immer noch nicht so richtig warm werden wollte, gingen wir vom Fluss wieder den Hügel hinauf.

Malerische Aussicht auf den Verzasca Fluss im unteren Gebiet, direkt vor “Wie im Urlaub” 

Auf dem Weg nach oben versuchten wir uns kurz an “Wanted” (7c+) einem relativ neuen Boulder, mit 2 kräftigen dynamischen Zügen. Leider war es immer noch kalt, und ein nasser Startgriff war auch alles andere als motivierend. Endlich oben angekommen versuchten wir uns an den Klassikern “Marilyn Monroe” (8a) und “General Disarray” (8b). Ebenfalls am selben Block befinden sich “Manson” (8a) sowie die Sloper-Traverse “Humphrey Bogart” (8a+). Da der eine Chris “Marilyn Monroe” bereits geklettert hatte und dem anderen Chris der Crux-Zug nicht gelingen wollte fokussierten wir uns zunächst auf “General Disarray”, eine 8b mit 3 sehr schweren Zügen. Nachdem wir für eine Weile die Züge ausprobiert hatten, entschieden wir uns das Gebiet zu wechseln und zum nächsten Parkplatz zu fahren.

Christoph beim Durchstieg von “Real Pamplemousse”

Im mittleren Gebiet angekommen teilten wir uns auf: Chris und Chris zu “Real Pamplemousse” und ich zu “Fake Pamplemousse” – beide jeweils 8a. Immer noch kalt und etwas frustriert von schwierigen Einzel-Zügen, bei denen es schwierig fällt warm zu werden, machte ich mich nach ein paar halbherzigen Versuchen in “Fake Pamplemousse” stattdessen an “Frogger” (8a) zu schaffen, welcher am selben Block liegt. Nachdem ich den schweren, unteren Teil, gut zusammensetzen konnte musste ich leider aufhören – das Ende war komplett Nass. Chris und Chris hatten derzeit mehr Glück und machten mit Real Pamplemousse kurzen Prozess.

Ein Wegweiser im oberen Gebiet weist die einzelnen Sektoren/Boulder aus

Am nächsten Tag machten wir uns in den etwas weitläufigen oberen Sektor auf. Wegweiser helfen hier mittlerweile dabei die bekanntesten Klassiker zu finden. Nachdem wir “Brionesque” (8a) hinter uns ließen, gingen wir direkt zu “Amber” (8b). “Amber” ist vermutlich einer der bekanntesten Boulder in Brione, und aus gutem Grund. Dank der niedrigen Höhe des Boulders ist es möglich in die einzelnen Züge einzusteigen, was es denen die nicht sofort aufgeben einfacher macht relativ schnell merkbare Fortschritte in verschiedenen Partien zu machen. Der Boulder ist also perfekt zum projektieren und ausbouldern. Über mehrer Sessions schafften alle drei von uns es sich Stück für Stück den Boulder mehr und mehr zu erarbeiten. Zwar stieg immer noch niemand den Boulder komplett durch, aber mit quasi allen Einzel-Zügen überdeckend eingespult ist es hier nur eine Frage der Zeit bis Amber fällt.

Wer nicht sofort 8b projektieren möchte kommt bei “Atlantis” (7c) sowie dem Klassiker “Molonk” (7c) auf seine Kosten, welche sich ebenfalls alle im oberen Sektor in der Nähe von “Amber” befinden. Klares Ziel unseres Trips war es aber uns an schweren Projekten zu schaffen zu machen, weswegen wir diese beiden Klassiker hinter uns ließen und zu “Vecchio Leone” (8b) weitergingen. Wem Vecchio zu einfach ist, kann sich alternativ wenige Meter weiter an “Kingdom” (8b+/8c) zu schaffen machen. 

Zustieg

Generell ist der Zustieg zu einzelnen Gebieten und Bouldern sehr einfach. Die Waldwege sind gut gepflegt und Wegweiser gibt es auch – so einen Luxus gibt es nicht in vielen Klettergebieten. Und als wir uns im oberen Gebiet zu “Salamandre” (8a+) auf machten wurde es sogar noch luxuriöser. Es ist natürlich allgemein bekannt, dass die Schweizer sich sehr um Ordnung kümmern, als auf einmal aber ein Waldarbeiter mit Laubgebläse an uns vorbei lief und den Weg von Blättern befreit hat waren wir doch sehr erstaunt.

Christian beim ausbouldern von “Vecchio Leone”

Wer einen Ruhetag braucht kommt ebenfalls auf seine Kosten. Locarno, bekannt für ein internationales Film Festival ist zu allen Jahreszeiten sehr schön. Auch im Winter ist der Ort lohnt es sich hier einmal die lokale Küche auszuprobieren, oder zumindest den Ort zu erkundigen. Und wer keine Lust mehr hat auf die Schweiz ist innerhalb von 20 Minuten in Italien. Dort gibt es sogar noch besseres (und preiswerteres) Essen. Der erste Ort, Cannobio, bietet einige hervorragende Trattorien, sowie eine wunderschoene Aussicht über den Lago Maggiore. Der Ort gefiel uns so gut, dass wir dort auch Neujahr verbrachten, und trotz Feuerwerksverbot eine hervorragende Zeit hatten.

Erschöpft vom wochenlangen Projektieren machten wir uns am letzten Tag noch einmal in das untere Gebiet auf. Neben dem Klassiker “Beach Bloc” (7b+) kletterte Christian am gleichen Boulder in wenigen Versuchen “Carciofo” (8a), eine selten begangene Linie von Jimmy Webb. Danach gingen wir einige Meter flussabwärts zur Platte “There is no Spoon” (7a+), einem absoluten Klassiker, der uns einige Versuche kostete. Der Boulder liegt praktischerweise im Fluss, direkt neben “Wie im Urlaub” (7c+), an dem ich mich bereits am ersten Tag versucht hatte. Dieses Mal ließ ich mir etwas mehr Zeit und konnte nach einigen Versuchen den Crux-Sprung festhalten. Mit Sprüngen, Leisten und Platten war es alles in allem ein sehr abwechslungsreicher Klettertag und guter Abschluss zu unserem Trip.

Wer einen Trip ins Tessin plant sollte also definitiv auch in Brione vorbeischauen. Zwar ist das Gebiet eher für schwere Boulder bekannt, dank des neuen Führers werden hier aber über kurz oder lang auch mehr und mehr Kletterer Spass haben die (noch) nicht 8a projektieren. Und, da wir jetzt einiges an neuen Projekten haben, werden wir auf jeden Fall bald zurückkommen. Um Christian Muench zu zitieren: “Es lohnt sich kräftiger ins Tessin zurückzukommen.”

Also, wenn du noch nie in Brione warst – was solltest du tun?

  1. Wer Brione wirklich voll ausschöpfen will sollte vorher hart trainieren. Der großteil der Klassiker sind im 8. Grad. Das heisst nicht dass sich das Gebiet ansonsten überhaupt nicht lohnt, man sollte sich aber darauf vorbereiten etwas mehr nach den Bouldern suchen zu müssen.
  2. Es lohnt sich definitiv einen Abstecher nach Italien zu machen. Wer also an Ruhetagen langeweile hat sollte schnell über die Grenze fahren und einen Tag “La Dolce Vita” genießen.
  3. Warm einpacken. Überraschenderweise ist es im Winter in den Bergen kalt. Handschuhe und Daunen-Hüttenschuhe, um während den Versuchen die Füße warm zu halten, sind wärmstens zu empfehlen

Steckbrief Henry Heinemann

Jahrgang: 1994
klettert seit: 2011
arbeitet: bei Cloudflare (the biggest internet company you’ve never heard of!)
mag: Schokolade
mag nicht: Sportklettern
mag manchmal: schlafen
aufgewachsen: in Hamburg
kletterte: Sportklettern ist nicht so mein Ding. Aber ich bin gut im Sichern!
boulderte: in fast 50 Hallen weltweit (ich bin ein Hallenkind, und stolz drauf!)