Klettern im Écrins Nationalpark

Fehlschlagen ist nicht gleich scheitern!

Ende Juli war es endlich wieder soweit, ich war wieder einmal zu Besuch bei einem meiner Lieblingsplätze, in Ailefroide im Écrins Nationalpark im Süden Frankreichs an der Grenze zu Italien. Ich liebe diesen Ort, einer der schönsten in der Region. Die Gegend dort ist nicht sehr dicht besiedelt, aber im Sommer schießen die Kletterer dort wie die Schwammerl aus dem Boden. Die atemberaubende Schönheit der Natur wäre an sich schon Grund genug um diesen Nationalpark zu besuchen, aber es ist auch ein idealer Ausgangspunkt für unzählige Wanderungen, Mehrseillängen und anderen alpinen Schweinereien. Camping im Nationalpark ist kein Problem und dafür gibt es auch eine Vielzahl an Plätzen. Die Gegend ist auch gut geeignet für (sportliche) Familien mit Kleinkindern die sich mit Kletterern mit Appetit auf Granit vermischen wollen. Die Routen in der Gegend sind typischerweise technisch anspruchsvoll und es kann schon vorkommen, dass der nächste Haken zum Einklinken noch ein oder auch zwei Züge entfernt ist. Generell sind die Routen in der Region bestens gewartet, mit Ausnahme einiger legendärer Risse die mit rostigen Bolzen aufwarten auf langen 4er Stellen.

Topo von Glacial Trompeur

Meine Herausforderung

Nach unserem Eintreffen, haben wir uns zuerst einmal mit ein paar kurzen Routen in der Nähe von unserem Zeltplatz aufgewärmt. Es ist wichtig zuerst einmal den Felsen und die Routen kennen zu lernen, jeder Kletterort hat ja auch seine eigene Charakteristik und sich damit vertraut zu machen hilft, bevor man das wirkliche Abenteuer beginnt. Ich habe meinen Kletterpartner schlussendlich erfolgreich davon überzeugen können, dass wir mit einer Route beginnen bei der ich bereits 2011 gescheitert bin. Damals waren wir einfach zu langsam und wir mussten den Aufstieg abbrechen. Obwohl es damals die richtige Entscheidung war, nagt die Route noch immer an meinem Stolz und ich will Sie diesmal bis zum Ende durchsehen. Für den jetzigen Versuch haben wir wieder den gleichen Mix an Routen gewählt wie in 2011, die ersten paar Seillängen über „Soleil Glacial“ kombiniert mit dem Ende über „Soleil Trompeur“, zwei parallele Routen an der Südseite vom „Grandes Sagnes“. Der Schwierigkeitsgrad der Kletterei ist nicht sehr anspruchsvoll, aber das Gesamtpaket verlangt einiges an körperlicher Fitness und mentaler Stärke ab, zumindest für mich! Der Tag beginnt mit einer 20 minütigen Anfahrt zum Parkplatz, gepaart mit einem 1 stündigen Zustieg zum Einstieg in die Route. Die Kulisse war wie frisch aus einem Gemälde und strahlte etwas Magisches aus. Starker Nebel machte es unmöglich die Felsen um uns direkt zu sehen, aber gleichzeitig bahnten sich bereits erste Lichtstrahlen von oben den Weg und wurden durch den Nebel wie ein Lichtregen zerstreut. Wie um uns Willkommen zu heißen, ging dann der Nebel auf, als wir den Einstieg unserer 350m Tour erreichten.

Seit meinem ersten Versuch in 2011 habe ich die Topo mehr als nur einmal studiert und bin die Route im Gedanken immer wieder durchgegangen. Ich habe mir meine Notizen und Ideen dazu  gemacht und mich vor diesem Versuche auch mit mehreren Erfahrungsberichte über die Route eingedeckt. So vorbereitet standen wir nun am Einstieg, aber trotz allem ist meine damalige nicht geglückte Erstbesteigungserfahrung nicht mehr als ein verblasster Schimmer in einer Nebelwand, fast so wie die Lichtstrahlen die in alle Richtungen gebrochen werden. Ich erinnere mich noch, dass wir nach unserem ersten Versuch erst 3 Tage später begannen unsere Notizen niederzuschreiben, dementsprechend detailgetreu sind die Aufzeichnungen. Ich wollte damals, dass ich wieder vorbereitet bin für den nächsten Anlauf, aber zurückblickend fühlt sich die damalige Kletterei wie eine einzig riesig lange Route an, nicht wie eine Sammlung von einzelnen Mehrseillängen. Lange Routen haben für mich den Nachteil, dass ich einzelne Details und Problemstellungen nur zu einfach wieder vergesse, beim Sportklettern hingegen brennen sich einzelne Details und Schlüsselstellen der Route so richtig in meine Erinnerung.

Unser Start war etwas hektisch, aber wir waren dann dennoch die Ersten an unserer Seite des Einstieges. Der erste Sektor, war eine Erinnerung daran, dass ich technische Routen am kalten Morgen nicht meine Freunde sind. Ich mag es nicht wirklich, wenn ich meine Zehen und die Fingerspitzen nicht mehr spüre, erinnert mich immer an Captain Hook. Danach erwartete uns aber auch schon der körperlich erste anstrengenderer Teil und nach einem Drittel des Weges hat uns dann auch schon die Sonne begrüßt. Die Wolken haben dafür gesorgt, dass die Temperatur gerade richtig war für unseren Aufstieg und hat uns erlaubt ein zügiges Tempo vorzulegen. Zu Beginn des zweiten Sektors hatten wir leichte Panik, da wir mitten in einem Kletterstau  kamen. Die Gruppe vor uns hatte einen anderen Einstieg gewählt und dümpelte so langsam vor sich hin. Es war nicht wirklich leicht, aber Sie haben uns erlaubt Sie zu überholen und ich glaube, dass rettete uns auch den Tag. Von diesem Zeitpunkt an beginnt meine Erinnerung etwas nebelig zu werden, ich glaube ich einfach wieder in meiner Zone. Da wir wollten Zeit aufholen wollten, preschte ich die nächsten 2 Seillängen mit voller Kraft voraus, ja nicht bitte so wie das letzte mal, als wir abrechen mussten. Das war das erste Mal, dass ich während einer Mehrseillänge Krämpfe bekam, aber am Ende zahlte es sich aus. Die gewonnene Zeit erlaubte uns die letzten 3 Seillängen dann gemütlicher anzugehen und unsere Kräfte besser einzuteilen. Speziell am Ende muss der Fokus noch immer zu 100% auf der Route liegen und das fällt schwer wenn die Angst vor einem Abstieg in der Dunkelheit überrascht zu werden zu groß ist. Genau das, war mir auch beim Ersten Mal passiert und ich hatte nicht die geringste Lust darauf, diese Erfahrung zu wiederholen. Nach 9 Seillängen der harten Arbeit, waren wir am Gipfel und wurden dann mit einer Wahnsinnsaussicht von 2800m belohnt. Unten angekommen realisierte ich erst, dass wir die gesamte Route ohne größere Probleme bezwungen hatten und dabei viel zu schnell unterwegs waren. 2h früher als geplant, Erschöpfung machte sich breit zusammen mit einem absoluten Gefühls des Glückes und Zufriedenheit.

Das interessanteste für mich bei dieser Wiederbesteigung war, wie verschieden sich die Route diesmal anfühlte. Meine Erinnerung an die Züge und die Route selbst waren komplett verschieden wie es sich dann wirklich präsentierte. Ich glaube einfach, dass ich durch mein Scheitern beim ersten Mal, Teile der Route zu viel Aufmerksamkeit gegeben habe und mir damit selbst ein Hindernis gebaut habe, das es eigentlich so gar nicht gibt. Ich habe mir selbst einen Dämonen erschaffen und Ihm mehr Macht gegeben als Notwendig. Genau das ist aber auch das Tolle beim Klettern, nicht der Felsen an sich, sondern alles Rundherum. Das Timing, deine Kondition, die Ruhe deiner Gedanken und das Vertrauen in deinen Kletterpartner sind es, die jede Route immer wieder speziell machen.

Du kletterst zwar im Moment, aber die Erfahrungen die du dabei machst, werden ein Teil von dir und bestimmen wer du in Zukunft sein wirst.