Teil 4
Timing
Willkommen zurück! In den letzten 3 Artikeln haben wir euch bereits eine kurze Einführung in die Ernährungswissenschaft gegeben und nun seid Ihr bereits kleine Experten in Sachen Kalorien, Makro- und Mikronährstoffen geworden. Die Energie- bzw. Kalorienbilanz und eine korrekte Zusammensetzung von Makro- und Mikronährstoffen sind tatsächlich die wichtigsten Elemente einer Diät, egal ob zum allgemeinen Wohlbefinden oder zur Verbesserung der sportlichen Leistung. Eric Helms, Coach und Wissenschaftler, hat aus Basis seiner Erkenntnisse die Ernährungspyramide aufgestellt. Bevor wir wieder einsteigen in die Thematik unsere bereits bekannte Pyramide zur Auffrischung.

In diesem Teil werden wir uns einem interessanten und sportspezifisches Thema annähern, dass in unserer Ernährungsplanung flexibel eingesetzt werden kann: das Mahlzeitentiming. Mahlzeitentiming bedeutet, den optimalen Zeitpunkt zum Essen zu bestimmen. Nachdem wir alle unterschiedlich sind, haben wir uns in Bezug auf unsere Ernährung auch verschiedenste Routinen angeeignet, manche verzichten zum Beispiel komplett auf das Frühstück, andere wieder ziehen kleine Snacks einer großen Mahlzeit vor. Wieder andere fühlen sich besser, wenn sie nach 18 Uhr nichts mehr essen. Die Außergewöhnlichen unter uns schaffen es sogar einmal in der Woche einen Fastentag einzulegen oder gar ein ganzes Monat lang zu fasten.
Was aber sagt die Wissenschaft zum Thema, Timing von Mahlzeiten? Erstaunlicherweise sagt sie, dass unter normalen Umständen der Zeitpunkt unserer Mahlzeiten egal sei. Es wurden unterschiedliche Gruppen getestet, die immer zu verschiedenen Zeitpunkten Ihre Mahlzeiten eingenommen haben. Energiebilanz, Makro- und Mikrozufuhr blieben bei allen Gruppen identisch, nur der Zeitpunkt der Essensausgabe wurde verändert. Es mag jetzt vielleicht etwas gegen unsere Intuition gehen, aber unter diesen Bedingungen wurden keine Unterschiede beim Stoffwechsel und Körpergewicht festgestellt! Das heißt, dass wir uns grundsätzlich ernähren können wie es uns passt, daher können wir die Uhrzeit und auch die Menge jeder Mahlzeit variieren und unseren Bedürfnissen anpassen. Ihr bevorzugt eine große Mahlzeit statt kleinen Snacks? Kein Problem, es wäre sogar theoretisch möglich, täglich nur einmal zu essen. Oder umgekehrt, viele kleine Portionen anstatt der gewöhnlichen drei Mahlzeiten. Nur vormittags oder nur abends wäre ebenfallsmöglich.
Das Wichtigste für unsere Speiseplan ist es allerdings, die Konsequenz und Routine. Wir sollten unseren Körper am Ende des Tages die richtige/notwendige Menge an Kalorien und Nährstoffen zugeführt haben, aber es obliegt uns wie und wann wir diese Menge zuführen. Daher ist eine gute Planung der Schlüssel zum Erfolg.
Apropos Kalorien, eine gute Mahlzeitplanung kann uns beim Abnehmen helfen. Jeder von uns hat ein eigenes Sättigungsgefühl, das normalerweise nach einer bestimmten Menge eingenommener Kalorien anspringt. Zahlreiche wissenschaftliche Studien haben bewiesen, dass wir durchschnittlich weniger essen, wenn wir wenige Mahlzeiten haben. Der Grund dafür ist, dass wir einfach aufhören, wenn wir uns satt fühlen. Dabei ist es egal, ob wir 2, 3- oder 6-mal am Tag essen. Unser Magen dehnt sich jedes Mal bis zu einem bestimmten vorprogrammierten Umfang. Wenn wir diese Grenze überschreiten, wird das Sättigungssignal losgeschickt und wir empfinden keinen Hunger mehr. Dieses Sättigungsgefühl kann uns tatsächlich beim Abnehmen unterstützen. Wir könnten eine Mahlzeit oder einen Snack regelmäßig auslassen und die anderen Mahlzeiten wie gewohnt bis zur Sättigung weiter einnehmen. So wird ein Kaloriendefizit erzeugt, zumindest in der Theorie. In der Praxis sind Hunger- und Sättigungsgefühl sehr individuell. Was für jemand sehr gut funktioniert, kann für jemand anderen überhaupt nicht machbar sein. Warum ist das so? Der Grund dafür ist, dass die Ernährung nicht nur den eigenen biologischen Prozessen, sondern auch den individuellen Gewohnheiten, den eigenen Stress-level, kulturellen Unterschieden und auch gesellschaftlichen Vorgaben angepasst wird. Das verbietet natürlich nicht, für sich selbst zu experimentieren und das Mahlzeitentiming zu variieren um den persönlichen „Mahlzeitenrhytmus“ zu finden.
INTERMITTENT FASTING
„Intermittent fasting“ oder „IF“ steht für Intervallfasten oder unterbrochenes Fasten und ist zurzeit einer der populärsten Spielvarianten im Fitnesstrend (oder Wahn). IF selbst ist keine Diät, stattdessen ist IF ein Essmuster, das aus gesundheitlichen Gründen zum Abnehmen verwendet wird. Man fastet in der Regel 16 Stunden am Tag (inkl. Schlafzeit) und isst wie gewohnt in der verbleibenden Zeit. Alternativ ernährt man sich 5 Tage in der Woche normal und die restlichen 2 Tage isst man sehr wenig, ca. 500 Kalorien täglich. Es wird bei der IF angenommen, dass unsere Urväter aus der Steinzeit oft gezwungen waren zu fasten, da sie als Jäger und Sammler nicht immer Erfolg hatten und nicht einfach in den nächsten Supermarkt gehen konnten zum Einkaufen. Deshalb hat unser Körper die Fähigkeit entwickelt, für lange Zeit ohne Nahrungsaufnahme weiterzumachen und durchzuhalten. Jeden Tag eine sichergestellte Ernährung zu haben sei deshalb nicht natürlich und wird als eine der Ursachen für die sogenannten Zivilisationskrankheiten angesehen. Tierversuche haben positive Auswirkungen vom Intervallfasten gezeigt wie Abnehmen, Verbesserung des Insulinspiegels und reduzierte Symptome von Krebswachstum. Allerdings wurden diese Studien unter künstlichen Bedingungen (Labor) durchgeführt und können nicht 1 zu 1 auf den Menschen übertragen werden. Bei Menschen wurde „Intermittent Fasting“ nur bei übergewichtigen und nicht-sportlichen Personen mit positiven Ergebnissen getestet. Es ist sehr wahrscheinlich, dass nicht IF, sondern eine reduzierte Energieaufnahme diese positiven Effekte verursacht hat (wie schon im Teil 1 erklärt). Außerdem gibt es Hinweise darauf, dass Intervallfasten für Frauen nicht so vorteilhaft ist, wie für Männer. Nichtdestotrotz hat sich Intermittent Fasting als nützliche und unkomplizierte Abnahmemethode bewährt. Diejenigen unter Euch, die ein paar Kilos verlieren möchten, wissen jetzt Bescheid und können gerne einen Selbstversuch starten.
Hilft uns IF beim Klettern? Unserer Meinung nach nur bedingt. Kletterer sind in der Regel schlanker als die normale Population und achten sowieso schon auf die eigene Ernährung. Fasten, wie auch extreme Diäten, haben immer auch das Risiko, dass sie zu Essstörungen führen. IF wurde jetzt nicht mit Leistungssteigerung in Verbindung gebracht, im Gegenteil. Ein inkorrektes Fasten kann die sportliche Leistung negativ beeinflussen, weil nicht genügend Energie zur Verfügung steht und es zu einem Verlust der Muskelmasse führen kann (angesichts der eingeschränkten Proteineinnahme, wie im Teil 2 besprochen). Aus diesem Grund empfehlen wir Euch, nur an Ruhetagen zu fasten und/oder die Mahlzeiten vor und nach dem Klettern zu konzentrieren.

Fasten ist nicht nur für das Abnehmen interessant
KLETTERSPEZIFISCHE ERNÄHRUNGSTIPPS
Wer regelmäßig klettert und trainiert und den eigenen Kalorien-, Makros- und Mikros-Bedarf bereits im Griff hat, kann dennoch von einer wissenschaftlich ausgerichteten Mahlzeiten Timing profitieren. Jede sportliche Aktivität verursacht einige akute Veränderungen im Körper. Während unsere Muskeln in Ruhe nur ca. 20% unseres Blutvolumens zugeführt bekommen, steigt der Anteil bei Anstrengungen auf bis zu 80% an. Was genau passiert, wenn wir klettern bzw. trainieren? Folgend die drei wichtigsten Anpassungen, welche unser Körper durchführt:
- Glykogen in unseren Muskeln wird abgebaut damit Glukose für energetische Zwecke freigesetzt und verwendet werden kann;
- unsere Muskelfasern bekommen Mikroverletzungen und es bilden sich lokal Entzündungen (noch nicht beunruhigend);
- Schweiß, eine Mischung aus Wasser, Salz und Elektrolyte, wird zur Senkung unserer Körpertemperatur produziert.
Diese Prozesse sind notwendig, um körperliche Anstrengungen ausführen zu können. Bei regelmäßigem Training ermöglichen sie es unseren Körper, sich an die sportliche Belastung anzupassen und unsere Leistungsfähigkeit zu verbessern. Eine zeitoptimierte Nahrungsaufnahme kann noch zusätzlich unsere Leistung verbessern, die Körperregeneration nach dem Training unterstützen, unsere Energiereserven auffüllen und uns optimal für den nächsten Klettertag vorbereiten. In den nächsten Kapiteln zeigen wir euch wie das alles funktioniert.
Am Klettertag
Es gibt Kletterer, die gerne mit leerem Magen klettern. Die Ernährungswissenschaft hat uns gezeigt, dass körperliche Anstrengungen bei nüchternem Magen gut für die Fettverbrennung aber sehr schlecht für die Kraft- und Koordinationsleistung sein kann. Der Körper erholt sich über Nacht von den vorangegangenen Anstrengungen. Wenn wir morgens aufstehen, ist unser Kohlehydratspeicher ziemlich geleert und die am Tag vorher eingenommenen Proteine sind für den Wiederaufbau bereits synthetisiert worden. Frühstücken füllt den Glykogenspeicher und liefert neues Baumaterial. Es genügt dabei eine leichte und verdauliche Mahlzeit einzunehmen, um unseren Körper auf die kommende Kletterleistung vorzubereiten.
Unser Wasserhaushalt spielt dabei eine besondere Rolle. Da wir beim Klettern viel Flüssigkeit verbrauchen und viel schwitzen (zumindest manche), sollten wir uns deswegen gut vorbereiten und rechtzeitig (bis zu einer Stunde vor dem Klettern) viel Wasser trinken. Die letzte richtige Mahlzeit vor dem Klettern sollte mindestens 2-3 Stunden vor dem Anfang eingeplant werden; eine Stunde im Voraus reicht in der Regel für kleine Snacks. Danach solltet Ihr nichts mehr essen. Ihr wollt nämlich alles schon verdaut haben und keinen schweren Magen haben, wenn Ihr bei der Schlüsselstelle seid! Fettige, schwer gewürzte Mahlzeiten sind ein No-Go vor dem Klettern, weil sie Magenverstimmungen und Verdauungsstörungen verursachen können, die den Stoffwechsel belasten. Das Gleiche gilt für Ballaststoffen, weil sie den Nährstoffdurchgang in den Darm verlangsamen. Zur genaueren Erläuterung eine allgemeine Übersicht der verschiedenen Verdauungszeiten:
- Kohlehydrate: 2-3 Stunden
- Proteine: 3 Stunden
- Fette: 6-8 Stunden
Damit ist ganz klar erkennbar, dass leicht verdauliche Kohlehydrate und magere Proteinsorten zu bevorzugen sind. Bei ganzen Tagen am Felsen, bei Mehrseillängen-Routen und im Allgemeinen, wenn die körperliche Anstrengung länger als 120 Minuten dauert, wird es empfohlen, währenddessen eine Kleinigkeit zu essen. Einfache Kohlehydrate geben hier den richtigen Kick. Trockenobst, eine Banane oder eine Scheibe Toast mit Honig eignen sich perfekt, um uns mental zu stärken, eine Unterzuckerung zu vermeiden und die ersten Anzeichen Müdigkeit zu bekämpfen. Und nicht vergessen, den Körper mit ausreichend Flüssigkeit zu versorgen. Ein Mangel an Salz und Elektrolyte kann schnell und unbemerkt zu Schäden im Organismus führen!
Auch wenn es mittlerweile etwas langweilig wird, ist es wichtig immer wieder zu wiederholen, dass jeder von uns anders reagiert. Es gibt Menschen, die kein Essen während des Kletterns vertragen. Wie zuvor erwähnt, wird das Blut an die Muskeln weitergeleitet und dadurch unser Verdauungssystem unterversorgt. Das kann zu Unverträglichkeiten und Magenbeschwerden führen. Wenn Ihr in dieser Kategorie passt, könnt Ihr es während des Kletterns mit Säften und Sportgetränke versuchen.
Nach dem Klettern
Die erste Mahlzeit nach dem Klettern ist die wichtigste für unsere Körperregeneration. Sie sollte unseren Glykogenspeicher wieder auffüllen, unsere Muskeln reparieren, Flüssigkeitshaushalt und Elektrolytenspiegel wieder in Gleichgewicht bringen und unser Immunsystem unterstützen. Wir empfehlen, eine Mahlzeit reich an komplexen Kohlehydraten und an hochwertigen Proteinquellen mit viel Flüssigkeit zu konsumieren. Die zugeführten Kohlehydrate werden als Glykogen gespeichert, während Proteine bei der Muskelregeneration synthetisiert werden.
Ruhetage
An Ruhetage benötigen wir wenige Kohlehydrate, weil wir keine vermehrte Energie verbrauchen. Nachdem wir unser Proteinbedarf wie immer abgedeckt haben, können wir beliebig weitere Proteine oder Fette zu uns nehmen, je nach Lust und Laune, bis wir unsere Energiebilanz erreicht haben. Der Ruhetag ist auch der richtige Zeitpunkt, jede Menge frische und gekochtes Gemüse zu essen. Ballaststoffe sind zwar gesund, aber leider verlangsamen sie die Verdauung und eignen sich damit nur bedingt für Trainingstage. Beim Wasserhaushalt gilt es, sich das Kamel zum Beispiel zu nehmen und vorausplanend zu agieren. Wir empfehlen Euch, an Ruhetagen mehr zu trinken, um eventuelle Trinkdefizite von den Klettertagen auszugleichen. Am Abend vor dem Klettertag ist es nicht verkehrt, den Glykogenspeicher vorsorglich mit einer kohlenhydratreichen Mahlzeit auszufüllen. Damit kann die Energie für den nächsten Tag bereitgestellt werden. Zu diesem Zweck können gern komplexe Kohlehydrate wie Reis, Nudel oder Kartoffeln verzehrt werden.

An Ruhetagen ist es wichtig viel Flüssigkeit aufzunehmen.
Noch ein Tipp fürs Abnehmen. Ruhetage sind die besten Tage, um ein Kaloriendefizit zu erzeugen. Damit wird die sportliche Leistung an Trainingstage nicht beeinträchtig.
In diesem Blog hat sich alles um das Timing von Mahlzeiten gedreht und wie wir diese unsere sportlichen Aktivitäten anpassen. In unserer Artikelreihe fehlt nun nur mehr der letzte Teil und zwar das spannende Thema der Nahrungsergänzungsmitteln.
Bis bald und dranbleiben!
Referenzen:
- “The muscle & strength pyramid nutrition” Eric Helms, Andrea Valdez, Andy Morgan
- „The Protein Book“ Lyle McDonald
- „Effects of meal frequency on weight loss and body composition: a meta- analysis.“ Schoenfeld BJ, Aragon AA, Krieger JW., Nutr Rev. 2015 Feb;73(2):69-82.

Steckbrief – Claudia
Ich bin Physiotherapeutin, Asien-Liebhaberin und eine etwas seltsame Kletterin. Ich komme ursprünglich aus Italien – genauer gesagt 138 Km von Arco entfernt – war dort aber noch nie klettern. Wenn ich draußen in der freien Natur bin, dann bevorzuge ich andere Aktivitäten wie Wandern, Laufen und Skifahren. Künstliche Kletterwände – je steiler, desto besser – sind dafür aber meine große Kletterleidenschaft. Ich kenne jede Kletterhalle in der Umgebung und wenn ich meinen Urlaub plane, achte ich immer darauf, dass es dort auch eine Kletterhalle gibt – Ihr findet mich dort auf jedem Fall!