Teil 1
Eine Pyramide und Kalorien
Unsere Ernährung hat in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen. Die Zeit, unseren Bauch einfach vollzustopfen, ist vorbei. Wir wollen uns jetzt bewusst ernähren und damit zu einem gesunden und langen Leben beitragen! Allerdings kann Ernährung auch ziemlich unüberschaubar und kompliziert erscheinen. Jeden Tag kommt eine neue Studie heraus, die die vorherige Studie infrage stellt. Fleisch ist ungesund, Getreide wirkt entzündlich und die vegane Diät ist nicht komplett. Wer hat Recht? Wie können wir uns richtig informieren? Und wie sollen wir uns im Endeffekt versorgen? Die Ernährungswissenschaft ist eine ziemlich junge Wissenschaft und genau das ist der Knackpunkt. Wissenschaft braucht Zeit, um Theorien aufzustellen, zu hinterfragen und zu bestätigen. Anfangs sind alle Wissenschaften ziemlich konfus und durcheinander. Mit der Zeit und mit jeder Menge Forschung und Fehlern wachsen sie. Wir haben hunderte Jahre gebraucht, um Tatsachen zu entdecken und erforschen, die wir jetzt als selbstverständlich hinnehmen. Newton hat, zum Beispiel, die Schwerkraft 1687 entdeckt, während die Erkenntnis, dass Bakterien Krankheiten erregen können, ans Ende des 19. Jahrhunderts zurück datiert. Ein weiteres Beispiel: Vitamine wurden erst 1900 identifiziert! Die ersten wissenschaftlichen Studien über das Essverhalten wurden erst in den letzten 20 Jahren durchgeführt. Außerdem sind heutzutage die meisten dieser Studien reine Beobachtungsstudien und fokussieren noch auf die Behandlung von Krankheiten und nicht auf eine präventionsbasierte Ernährung. Wie können wir dann wissen, welche die beste Ernährung für Kletterer ist? Können wir nicht, genauer gesagt, noch nicht. Die Forschung braucht noch einige Jahre und Jahrzehnte, um das herauszufinden. Aber keine Panik! Es wurden schon zahlreiche Informationen gesammelt, die uns zumindest die Richtung zeigen können. Das ist, was wir in diesem und in den nächsten Artikeln versuchen werden. Eine Pyramide wird uns dabei unterstützen.
Ihr habt sicherlich irgendwann die eine oder andere Ernährungspyramide gesehen. Diese stellen normalerweise dar, wie die jeweiligen Mengenverhältnisse von Lebensmittelgruppen innerhalb einer Diät aufgeteilt werden. Bei unserer Pyramide dagegen geht es nicht um eine Diätzusammensetzung, sondern um Ernährungsprioritäten. Sie wurde vom Sportler, Forscher und Coach Eric Helms entwickelt und ist so aufgeteilt: Auf der Basis liegt der erste und wichtigste Pyramidenteil, die Kalorien, gefolgt von Makro- und Mikronährstoffen. Wenn man diese Nahrungsbestandteile im Griff hat und die eigene Ernährung noch präziser kontrollieren möchte, kann man als Feinschliff die Häufigkeit der Mahlzeiten – das sogenannte „Mahlzeitentiming“ – und zum Schluss die Zufuhr von Nahrungsergänzungsmitteln anpassen. Jedem Pyramidenteil werden wir einen Artikel widmen. Wissenschaftliche Beispiele und Exkurse in die aktuell angesagten Diäten werden wir dabei nicht außer Acht lassen.

Quelle: https://rippedbody.com/complete-diet-nutrition-set-up-guide/ (11.07.2018)
Anhand dieser Pyramide werden wir in diesem und in den nächsten Artikeln umfassend über Ernährungswissenschaft sprechen. Wir wollen euch keine Wunderdiät zum besseren Klettern vorstellen, sondern mit Hilfe von aktuellen Studien erklären, welche Prioritäten wir setzen sollten, wenn wir uns gesund UND leistungsorientiert ernähren wollen. Vergesst hierbei nicht, dass Vernunft immer der beste Weg ist. Unser „tägliches Brot“ sollte nicht mit einer Religion verwechselt werden!
Die Kalorien
Kalorien bilden die Basis unserer Pyramide. Sie ermöglichen uns, unseren täglichen Energiebedarf zu kalkulieren und dienen als Maßstab beim Ab- und Zunehmen.
Energiebedarf
Bei jeder Bewegung, wenn wir sitzen oder schlafen, verbrauchen wir Energie. Wie bestimmen wir unseren Energiebedarf? Wie schon erwähnt, sind die Kalorien die Maßeinheit unserer Energie. 1000 Kalorien entsprechen einer Kilokalorie oder Kcal. Eine Kilokalorie ist die Energiemenge, die benötigt wird, um einen Liter Wasser von 14,5 Grad auf 15,5 Grad Celsius zu erwärmen. Man spricht umgangssprachlich von Kalorien, dabei sind immer Kilokalorien gemeint. Vielleicht habt ihr von der „Kalorienlüge“ gehört: dass Kalorien altmodisch geworden sind, ungenau und ungeeignet für die Berechnung unseres Energiebedarfes. Das ist wohl falsch, aus einem sehr einfachen Grund. Wir alle auf der Welt folgen dem Gesetz der Thermodynamik. Energie kann weder erzeugt, noch vernichtet, sondern nur von einem Zustand in einen anderen umgewandelt werden. Wir sprechen in diesem Fall von Aufnahme versus Verbrauch. Was hereinkommt wird verbraucht bzw. gespeichert. Wenn wir mehr als unseren täglichen Energiebedarf zu uns nehmen, werden wir zunehmen. Und auch umgekehrt: Wenn wir weniger als unseren Kalorienbedarf zu uns nehmen, werden wir abnehmen. Was bei dieser Berechnung nicht genau kalkulierbar ist, ist die Menge, die wir zu- bzw. abnehmen. Hier stimmt es, dass jeder von uns anders funktioniert. Es gibt tatsächlich individuelle genetische und/oder hormon- und stoffwechselbedingte Unterschiede, die in extremen Fällen eine Schwankung bis zu 20 Prozent verursachen können. Allerdings ist und bleibt eine Kalorie eine Kalorie. Wenn die Kalorienbilanz stimmt, stimmt ebenfalls die Ernährungsplanung. Was ist dann mit diesen Diäten, bei denen man keine Kalorien berechnen soll? Es gibt zahlreiche davon, die Erfolg ohne Kalorienberechnung versprechen. Ja, sie funktionieren, weil sie ebenfalls dem Gesetz der Thermodynamik unterstellt sind. Wenn man sie näher betrachtet, stellt man fest, dass sie alle eigentlich auf einem Kaloriendefizit basieren. Dieses Defizit wird durch reduzierte Nahrungsaufnahme und Verzicht auf kalorienreiche Lebensmittel erreicht. Mehr davon in den nächsten Teilen unserer Artikelreihe über die Kletterernährung.
Ein interessantes Experiment wurde 2010 von Professor Mark Haub von der Kansas State University durchgeführt. Er wollte demonstrieren, dass Kalorien der einzig wichtige Abnehmfaktor sind. Er war übergewichtig und wollte einer zweimonatigen hypokalorischen Diät folgen. Er berechnete dabei, dass er täglich ca. 1.800 Kalorien zu sich nehmen dürfte, um effektiv und gesund abzunehmen. Abgesehen von einem Proteinshake und zwei Portionen Salat bestand seine 1.800 Kalorien-Diät nur aus sogenanntem „Junk Food“ – Pommes, Würsten, Keksen, Burgern, Fertiggerichten und Süßigkeiten. Ratet mal, wie das Experiment gelaufen ist? Nach zwei Monaten hatte Professor Haub tatsächlich 12 Kilos verloren und seine Cholesterinwerte waren stark gesunken! Klar, keiner empfiehlt eine solche Diät, überhaupt nicht langfristig. Es wurde aber bewiesen, dass nur der Kalorienbilanz zählt, wenn es ums Ab- bzw. Zunehmen geht.

Professor Mark Haub hat bei seinem Selbstversuch nicht nur Obst und Gemüse zu sich genommen, sondern vor allem auch Junk Food.
Zurück zu den Kalorien. Wie berechnen wir unseren Energiebedarf?
Berechnung des Engergiebedarfs
Unser täglicher Kalorienbedarf wird in Grundumsatz und Leistungsumsatz unterteilt.
Grundumsatz
Der Grundumsatz bezeichnet, was wir am Tag verbrauchen, wenn wir 24 Stunden lang schlafen bzw. in völliger Ruhe liegen würden. Das ist das Mindestmaß, das unser Körper für die Aufrechterhaltung der normalen Funktionen im Ruhezustand, wie Stoffwechsel, Herz-Kreislauf, Atmung, Gehirnfunktion, Wärmeproduktion und Verdauung, benötigt. Der Grundumsatz wird auch basale Stoffwechselrate genannt. Eine bemerkenswerte Info dazu: Den größten Anteil am Grundumsatz haben die Leber und die Skelettmuskulatur mit ca. 25 Prozent, gefolgt vom Gehirn mit 18 Prozent. Unser Grundumsatz ist abhängig von Faktoren wie Geschlecht, Alter, Gewicht und Körpergröße. Dank der sogenannten Harris-Benedict-Formel können wir schon seit 1918 diese Faktoren miteinbeziehen und unseren Grundumsatz einfach berechnen.
Männer
66,5 + (13,7 x Gewicht in kg) + (5,0 x Größe in cm) – (6,8 x Alter in Jahren)
Beispiel: Michael ist 43 Jahre alt, 185 cm groß und wiegt 90 kg
66,5 + (13,7 x 90) + (5,0 x 185) – (6,8 x 43) = 1932,1
Michael hat einen täglichen Grundumsatz von 1932 Kilokalorien.
Frauen
655 + (9,6 x Gewicht in kg) + (1,8 x Größe in Zentimetern) – (4,7 x Alter in Jahren)
Beispiel: Katrin ist 20 Jahre alt, 164 cm groß und wiegt 52 kg
655 + (9,6 x 52) + (1,8 x 164) – (4,7 x 20) = 1543,4
Katrin hat einen täglichen Grundumsatz von 1543 Kilokalorien.
Leistungsumsatz
Der Grundumsatz deckt einen großen Teil unseres täglichen Energiebedarfs. Hinzu kommt, wie viel wir uns täglich bewegen. Das ist der sogenannte Leistungsumsatz und es existiert eine weitere Formel, um ihn zu berechnen. Der Leistungsumsatz ist eine Erfassung unserer körperlichen Aktivität und unseres Lebensstils. Damit wird die Energie bezeichnet, die über den Grundumsatz hinausgeht. Unsere Aktivitäten werden – abhängig von körperlicher Anstrengung und Intensität – einem gewissen Faktor zugeordnet, und zwar:
1,2 Schlafen, einfaches Liegen
1,4 – 1,5 Sitzend am Computer arbeiten, kaum körperliche Aktivität
1,8 Stehen
1,9 – 2 Gehen
2,0 – 2,4 Körperlich anstrengende Aktivität, wie Sport, Bauarbeit, usw.
Diese Faktoren werden mit der Stundenzahl, die jede von diesen Aktivitäten am Tag einnimmt, multipliziert. Alle Werte werden anschließend zusammengezählt und das Ergebnis durch 24 geteilt. So wird einen Tagesdurchschnitt berechnet, der dann mit dem Grundumsatz multipliziert wird. Bitte beachtet, dass es sich hierbei um ungefähre Werte handelt, die als Ausgangspunkt betrachtet werden sollten. Es liegt an uns, die spezifische Aktivität genau einzuschätzen und einzuordnen und auch, je nach Gefühl, Zwischenfaktoren zu verwenden. Trotz der Validität der Formel existieren viele Faktoren, die nicht berücksichtigt werden.
Beispiel:
Michael arbeitet sechs Stunden am Tag als Kellner. Er ist außerdem ziemlich sportlich und geht jeden Morgen vor dem Frühstück eine halbe Stunde laufen. Den Rest des Tages verbringt Michael meistens sitzend, entweder im Auto, am Tisch oder auf dem Sofa. Nachts schläft er sieben Stunden. Der Leistungsumsatz von Michael wird wie folgt berechnet:
1,2 x 7 Stunden Schlaf = 8,4
1,9 x 6 Stunden als Kellner = 11,4
2,0 x 0,5 Stunden Laufen = 1
1,4 x 10,5 Stunden im Sitzen = 14,7
8,4 + 11,4 + 1 + 14,7 = 35,5
35,5 / 24 = 1,48
1,48 x 1.932 Grundumsatz = 2.859
Michaels täglicher Energiebedarf beträgt 2.859 Kilokalorien.
Energiebilanz
Wenn wir unseren täglichen Energieverbrauch mit der täglichen Energiezufuhr aus der Nahrungsmittelaufnahme vergleichen, bekommen wir unsere Energiebilanz. Wenn wir mehr Energie zuführen, als unser Körper verbraucht, überschreiten wir unseren Energiebedarf. Der Körper wird diesen Nahrungsmittelüberschuss in Form von Fettreserven speichern. Im Gegensatz dazu wird sich unser Körper bei den gespeicherten Reserven bedienen und wir werden Gewicht verlieren, wenn wir mehr Energie verbrauchen, als wir über die Nahrung zuführen. Wie schon erwähnt, kann uns keine Berechnung kaloriengenau sagen, wie viel wir insgesamt zu- oder abnehmen werden und wie viel Fett- und Muskelmasse dabei sein wird. Ein Grund dafür ist, dass unser Hungergefühl und die Effizienz unserer Verdauung auf unterschiedliche Weisen beeinflusst werden können: durch bestimmte Nahrungsmittel, Hormone, sogar unser Schlaf und auch die Periode haben einen Einfluss darauf, wie viel wir essen und verdauen. Es existieren zahlreiche Webseiten und Handyapps, über die wir unsere Nahrungsmittelaufnahme eingeben können und die dann unsere Energiezufuhr berechnen. Auch hier nicht vergessen, dass es sich immer um durchschnittliche Werte handelt und dass sich Schwankungen ergeben können. Im Allgemeinen raten wir davon ab, die eigene Diät ausschließlich anhand solcher Softwareanwendungen zu gestalten. Ihr solltet schon essen, wenn ihr hungrig seid und nicht essen, wenn ihr euch noch satt fühlt, egal was die App gerade vorschreibt. Außerdem würden wir zu keinen extremen Defiziten oder Überschüssen raten. Als grober Hinweis empfiehlt sich, nicht mehr als 20 Prozent des täglichen Energiebedarfs beim Ab- oder Zunehmen mit einzubeziehen, bis zu 20 Prozent Kalorien weniger zum Abnehmen, bis zu 20 Prozent mehr zum Zunehmen. Ein größerer Prozentanteil kann ungesund werden und zu Stoffwechselsyndromen oder auch Muskelmasseverlust führen.

Beim Essen solltet ihr nicht ausschließlich auf Handyapps und Webseiten, sondern auch auf euer Gefühl vertrauen.
Wir verabschieden uns jetzt vom Thema Kalorien und sehen uns beim nächsten Artikel über die Makronährstoffe wieder!

Steckbrief – Claudia
Ich bin Physiotherapeutin, Asien-Liebhaberin und eine etwas seltsame Kletterin. Ich komme ursprünglich aus Italien – genauer gesagt 138 Km von Arco entfernt – war dort aber noch nie klettern. Wenn ich draußen in der freien Natur bin, dann bevorzuge ich andere Aktivitäten wie Wandern, Laufen und Skifahren. Künstliche Kletterwände – je steiler, desto besser – sind dafür aber meine große Kletterleidenschaft. Ich kenne jede Kletterhalle in der Umgebung und wenn ich meinen Urlaub plane, achte ich immer darauf, dass es dort auch eine Kletterhalle gibt – Ihr findet mich dort auf jedem Fall!