Teil 1 – Die Suche
Die Freundin ist sauer, Freunde und Kletterkollegen schütteln den Kopf und die Eltern denken sich sowieso, dass etwas aber so richtig falsch läuft. Nein, ich bin kein identitärer Vollhorst geworden, ich erschließe ein Bouldergebiet, oder vielmehr einen Sektor und da kann es schon einmal passieren, dass man auf Tauchstation geht. Wie und warum, das lest ihr hier.
z + z = 2b (Zeit + Zufall = Boulderblock)
Das wird eine Story über drei Teile, also scrollt nicht gleich an das Ende und erwartet euch einen Downloadbutton für eine Topo. Ganz so schnell geht es dann doch nicht und wir fangen ganz am Anfang an, nämlich dort, wo die Felsen liegen. Und die findet man die? Richtig, mit der naturwissenschaftlich allbestimmenden Mathematik und die Formel dazu lautet z + z = 2b (Zeit + Zufall = Boulderblock). Bei mir war es zu ca. 80% immer Zufall und die restlichen 20% Recherche, wenn ich neue Felsen gefunden habe. Aber wie recherchiert man Felsen eigentlich? Ich studiere Blogs, scanne Fotos von Wanderern nach kletterbarem Fels, lese Berichte und betrachte Gebiete und Gräben, wo sowieso schon steiles Gelände da ist und ich Felsen vermute, mit dem GIS-Kataster. Dies erst seit einigen Jahren, nachdem mich ein Freund darauf gebracht hat. Hier werden Geländestufen grafisch dargestellt und wo viele kleine Geländestufen vorkommen, ist es sehr wahrscheinlich, dass dies Fels ist.
Hier seht ihr z.B. ein Beispielbild vom Zirbitzkogel und der Koralm, beides sind bekanntermaßen Gebiete mit Boulderblöcken und hier seht ihr, wie so etwas aussehen kann. Aber es können auch nur steil abfallende Hänge sein oder auch Felsen mit unbrauchbarem Absprunggelänge weil es dort so steil ist. Ihr seht, es ist nicht ganz einfach etwas zu finden, wo die Gegebenheiten passen und die Felsqualität darüber hinaus auch noch in Ordnung ist.
Und natürlich gehen, gehen und noch einmal gehen bzw. suchen ist essentieller Bestandteil, und wer erwartet immer high quality lines zu finden, der wird umso öfter enttäuscht. In unseren Breitengraden haben wir eher brösligen Fels und Kalk, aber es gibt dafür veritable Verhauer, unter Moos und Erde begrabene Blöcke oder staubig-kratzige Flechten zu entdecken, die ihresgleichen suchen. Ein Block von 20gefundenen bietet dann vielleicht einen richtig guten Boulder, der Rest ist eh ok oder eher mau. Freuen tut man sich aber trotzdem über jeden einzelnen. Jetzt werden sich manche denken, na gut, ich gehe halt dorthin, putze und knipse die besten Lines ab und dann lasse ich wieder Moos über die Sache wachsen. Nun ja, wenn man einen Sektor aber erschließen will, dann sollten einfach alle Lines, zumindest die offensichtlichen, geputzt und gebouldert werden, damit das Gebiet auch für andere interessant wird bzw. auch andere Boulderer dorthin fahren, die Linien klettern und vielleicht dafür Sorge tragen, dass nicht alles wieder zuwächst. Aber warum eigentlich mache ich so etwas? Schließlich habe ich meine Zeit auch nicht geschenkt bekommen, stehe im Arbeitsleben, erarbeite mir mein eigenes Bio-Gemüse und renoviere rund ums Haus was geht. Da bleibt nicht viel Zeit übrig und die wäre beim Klettern bzw. Bouldern von eigenen Projekten doch besser investiert. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern wie mein Kletteranfang vor mehr als 15 Jahren war. Keine Topos (außer die vom Grazer Bergland halt – Bouldern war bei Schall und Rauch noch nicht auf der Agenda, und ist es noch immer nicht), keine online communities wie auf Facebook oder diverse andere Internetportale – es gab einfach keine abrufbaren Infos. Wir waren dankbar für jedes bisschen Stück Fels, das uns gezeigt wurde und wäre der gute alte Fuxi nicht gewesen, wir hätten vieles nie gesehen.
Die Fährte aufnehmen …
Da könnt was gehen…
Das Bedürfnis auch etwas zurück zu geben, an Informationen und Möglichkeiten, für alle die sich jetzt in der Halle herumtreiben treibt mich darüber hinaus auch an und wenn mir dann wer anerkennend auf die Schulter klopft und sagt „Respekt für die Schinderei, sind echt a paar gute Dinger dabei“ dann ist das alles, was mein Geltungsdrang braucht um befriedigt zu sein.
Der Eigennutz kommt auch noch dazu. Ich habe mich von der Vorstellung verabschiedet, im Klettern immer besser zu werden, aber man reift. Jetzt mache ich lieber 10 Boulder pro Tag anstatt 10x pro Tag am gleichen Zug zu scheitern. Das heißt, ich baue mir selbst und Bekannten ein Gebiet, wo starke Mädels und ihre Lauchfreunde (die mit den reduzierten La Sportiva Solutions vom letzten Bergfuchs Flohmarkt, die damit nicht einmal auf riesigen Henkeln in den Boulderhallen stehen können) was zu tun haben. Und was gibt es Besseres als draußen zu bouldern? Ja gut, die Hallenfaschos werden es draußen nicht so cool finden weil Zecken, Dreck, Dornen, brüchige Griffe, brüchige Tritte, kleine Griffe, scharfe Griffe, große Griffe, schmerzhafte Griffe, ein Kackhaufen im Wald und was weiß ich. Aber für alle anderen, die noch immer der Überzeugung sind, dass Fels besser als Plastik und Natur besser als die Halle ist, die können irgendwann darauf zählen, mehr Möglichkeiten zu bekommen.
Habe ich dann Fels – in welchem Ausmaß auch immer – ausgemacht, sei es auf Fotos, im Kataster oder durch Tipps von Wanderern, Hüttenbesitzern oder Freunden plane ich zuerst den Zustieg. Ich suche die nächste Möglichkeit um zu parken, nehme eine Kamera und mein Smartphone mit und gehe im Zick-Zack das Gebiet ab. Dabei steuere ich jeden Felsblock, den ich sehe, an und begutachte ihn von allen Seiten. Es kann sein, dass eine Seite gar nichts hergibt, aber dahinter sich neue Möglichkeiten auftun. Wichtig in Bezug auf eine Erschließertätigkeit kann außerdem auch sein, ob in der Nähe ein Wanderweg vorbeiführt. Denn dann ist das Gebiet bzw. der Sektor ja sowieso schon frequentiert bzw. treiben sich auch andere Menschen dort herum und ein Grundstücksbesitzer kann wegen ein paar Personen mehr keinen Aufstand machen. Außerdem checke ich vorhandene Hochsitze oder Fütterungsstellen ab bzw. werfe auch ein Auge auf sonstige Markierungen von Tieren. Kot, abgeriebene Bäume oder manchmal auch ein Reh oder eine Gams, die davonstarten und Jungtiere zurücklassen können ein Anzeichen sein, dass hier ein Platz zum „ansetzen“ ist. Das heißt, hier gebären Wildtiere ihre Jungen und ziehen diese auf. Ihr könnt euch vorstellen, dass die nicht unbedingt begeistert sind von Unruhe im Wald. Sind Fluchttiere generell nicht, aber wenn das Gebiet bewirtschaftet ist und ich nicht weit entfernt bin von einem Wanderweg, wird sich die Störung wohl in Grenzen halten.
Felsqualität sosolala
Kuckuck
Die Anzahl der Hochsitze und Fütterungsstellen in der Nähe ist insofern interessant, da ich Begegnungen mit Jägern in deren Jagdgebiet eher vermeiden will. Sie erfüllen eine immens wichtige Aufgabe für das Wild bzw. derem natürlichen und gesunden Bestand, seit wir alle Raubtiere vertrieben oder getötet haben. Aber das Verständnis, was ein Boulderer in ihrem Revier macht, ist selten gegeben. Das heißt für mich, bei allem Verständnis für die Jagdgesellschaft (zumindest solchen, die ein Fünkchen Ehre haben und keine Gatterjagd oder stupides Abballern von ausgelassenen Fasanen betreiben): „Hochsitz und Fütterung in Kombination mit Herrl und Hund – halte Abstand, bleib gesund“ 😉
Blöcke suchen findet daher weder in den frühen Morgenstunden, noch in der Dämmerungszeit und darüber hinaus statt, da zu diesen Zeiten das Wild sehr aktiv ist und eine Störung vor allem im Frühling, wenn es vom Winter noch geschwächt ist und das Nahrungsangebot knapp ist, vielleicht lebensnotwendige Energie verbraucht und wer will schon ein Rehlein auf dem Gewissen haben? Lieber auf dem Teller als auf dem Gewissen! Während meiner Erkundung begleitet mich ein Outdoor-App, so wie das Alpenvereinsaktiv App zum Beispiel, wo ich meinen Zustieg im Vorhinein geplant habe und jetzt auch dauernd die Kontrolle habe, ob ich auch am richtigen Weg, oder bereits am verkoffern bin. Die Technik hilft auch hier weiter und bis man mit Kompass und Karte gelernt hat zu navigieren, ist es mit einem Smartphone doch merklich einfacher geworden. Jedenfalls solange der Akku hält und man Empfang hat. An diesem ersten Tag im Gebiet versuche ich also so viel wie möglich zu erkunden, das kann auch mehrere Stunden bis zu einem ganzen Tag verschlingen, und ist nichts was man einfach mal so nebenher macht. Bei jedem Block, und sei er noch so uninteressant auf den ersten Blick, setze ich einen GPS-Punkt, damit ich mir später genau ansehen kann, wie viele Blöcke es sind. Gibt es Konzentrationen von einzelnen Blöcken, liegen sie weit auseinander und gibt es eventuell einen anderen Zustieg, der kürzer bzw. schneller ist – das alles ist nicht unerheblich um sich das Leben etwas leichter zu machen. Letzten Sommer konnten wir so einen Zustieg von ca. 1 Stunde auf 30 Minuten drücken – wenn die Pilze nicht gewesen wären, die einzusammeln es sich gelohnt hat.
Wo sind Sie jetzt, die Boulder?
Jeder einzelne Block wird fotografiert, oft von mehreren Seiten und bekommt eine GPS-Markierung, damit er später auch sicher wieder gefunden wird. Wieder zu Hause geht es dann daran, alle Fotos noch einmal durchzuschauen, und ein „Ranking“ zu machen. Denn irgendwo muss man auch einmal anfangen. Wir haben hier leider das Pech, dass wir keine großen Blockfelder mit zig Blöcken finden (Ausnahmen bestätigen die Regel…) sondern wir liegen hier eher so im 10er Bereich. Denn für den nächsten Teil, das Putzen und Bouldern, ist es eine gute Vorbereitung sich im Klaren darüber zu sein, wo man anfängt, ob man Tage verwendet um nur zu putzen oder doch nur einen Block putzt und dann gleich bouldert. Abgesehen davon gilt es zu überlegen, welche Linien man selber bouldern will und ob man fit genug dafür ist, denn je mehr Leute davon Wind kriegen, desto mehr wollen mitkommen und sich das einmal anschauen aber natürlich auch bouldern und da ist es gut, die Besten schon abgehakt zu haben, denn Respekt vor einem Projekt ist etwas, was in vielen Köpfen nicht verbreitet ist. Da gibt es schon mal ernste Auseinandersetzungen zwischen „oldschool“ und „newschool“ wenn man jemanden darauf hinweist, dass das jetzt nicht Sache ist, das er da einsteigt, weil das ein Projekt ist. Und oft fehlt das Verständnis dafür von der „newschool“ Seite, denn es ist ja quasi „nur“ ein Boulder und der liegt ja eh für alle da.
Aber dies und mehr erfahrt ihr dann im zweiten Teil, wenn es um das Putzen und Bouldern geht.
Euer Stephan

Steckbrief – Stephan
Jahrgang: 1985
klettert seit: 13 Jahren, so oft als möglich
arbeitet: Pädagoge (aber nicht so einer mit viel Kohle und dem vielen Urlaub – eher lower end)
mag: bouldern und kurze Routen, die Jungs aus der Weststeiermark, Routen einbohren (ca. 15 bis jetzt), Boulder putzen (50+ bis jetzt), Katzen
mag nicht: Ausdauerrouten, Schitouren
mag manchmal: Semi-Alpine Mehrseillängentouren, Plaisierklettereien, Schneeschuhtouren, Wanderungen, Hunde
liebt: seine Gefährtin
aufgewachsen: in Voitsberg, in Graz studiert, jetzt in GU daheim
kletterte: eine 8a *jippieh*
boulderte: noch keinen 7C *buuhuhu*