Teil 2 – Gefunden was jetzt?
Juli 2019. Jakob Schubert gibt auf Instagram im Zuge der Tirol-Werbung Tipps um fit fürs Klettern zu werden. Ob ein paar Bauch-Beine-Po Übungen, wie im Video gezeigt, reichen? Sicher bin ich mir da nicht. Und sonst? Ich hätte gerne mehr geputzt und gebouldert, aber ein gepflegter Terrassenbau nahm mich in Beschlag. Dank diverser Hornbach und DIY-Videos glaubt man ja immer, dass alles in 3 – 8 Stunden erledigt ist. Ein Möchtegern-Handwerker investiert dann aber doch 3 – 8 Tage und so vergingen die Wochenenden. Aber es steht ja viel Erfüllenderes auf der To-Do-Liste. Es wurden Felsblöcke gefunden und die will ich bekletterbar machen.
Cleaning the sh*t
Die Blöcke im Wald sind meist bemoost und flechtig. Im alpinen Freiland gibt es dann Hardcore-Flechten und umfangreiche Putzarbeit ist in diesen Fällen fast immer von Nöten. Aber was soll und darf man eigentlich wegschrubben?
Nun, da scheiden sich die Geister. Ich persönlich halte es so, dass alles entfernt wird, was moosig oder flechtig ist, und manche Ausstiege sind von mir schon regelrecht ausgegraben worden inkl. Entfernung der Schwarzbeerbüsche („Schwoazbeagschdauda“), Farne und Erde, die einen Ausstieg unmöglich gemacht hätten. Bei Bäumen gilt es immer abzuwägen. Natürlich will ich A) keinen übermäßigen Eingriff in die Natur machen und B) wenig Arbeit haben und vor allem C) keinen Wickel mit einem verärgerten Waldbesitzer, aber ob die morsche Fichte in Kniehöhe außer Insektenhotel noch eine Aufgabe erfüllt, bezweifle ich hin und wieder schon. Im Endeffekt muss das jede/r, der/die Boulder putzt, für sich selber entscheiden wie weit er/sie gehen will – und wo wir gerade dabei sind: Ich habe ja noch gar keinen Grundbesitzer gefragt, ob er mir das Bouldern bzw. das Entfernen von Flora und Fauna überhaupt erlaubt. Kommen wir daher zu einem wichtigen, nächsten Punkt:
Stephan auf Solo-Mission
Besitzer und Bewahrer
Schon klar, es ist fremdes Eigentum und ich manipuliere daran herum. Wer wird darüber begeistert sein? Dass da andere Leute in den Wald gehen und an einer, für Außenstehende, nutzlosen Tätigkeit Spaß haben – wo kommen wir denn da hin? Ich hatte schon ein paar Diskussionen mit Eigentümern und ich kann euch sagen: Das ist kein leichtes Geschäft und ich habe an Personen Zeit und Geduld verschwendet, wo ich mir hinterher gedacht habe: “Ich war im falschen Film.” Also habe ich das für mich abgehakt. Ausnahmen hat es gegeben. Nette Alm- und Waldbesitzer haben mir sogar Tipps gegeben, wo ich suchen muss, nachdem ich Ihnen erklärt habe was ich vorhabe und für was diese riesigen Rucksäcke (Crashpads) nötig sind. Wahrscheinlich waren sie froh, dass ich es nicht auf die Schwammerl und Pilze abgesehen hatte.
Der kleinste, gemeinsame Nenner ist und bleibt allerdings das Gesetz, und daran halte ich mich auch. Das freie Betreten des Waldes (ausgenommen sind div. Schutz- und Sperrgebiete) ist eines der letzten Rechte auf das Boulderer pochen können. Ansonsten ist ja alles reguliert, reglementiert und verboten. Je älter ich werde, desto mehr schwindet mein Verständnis für diese Art des „Gouvernantenstaates“. Ich traue mich zu behaupten, dass vor Jahren niemand auf die Idee kam einen Besitzer zu fragen, ob das Klettern/Bouldern eh ok ist und dieses Vorgehen resultierte mehr als einmal in Anzeigen, Gerichtsverfahren, Schreiduellen oder handfesten Auseinandersetzungen. Aber soll ich euch was sagen? Der Nimbus des Klettersports war seit jeher auch ein Stück weit unbequem, unangepasst und unbekümmert zu sein. Klettern ist nicht nur der Fitnesslifestyle, der die letzten Jahre sich zu einer Modeerscheinung entwickelt hat und der Outdoorindustrie höhere Umsätze beschert. No offense, schließlich profitiere auch ich von perfekt durchdachten Bouldern in der Boulderhalle meines Vertrauens, aber dieser Sport vermittelt auch ein Lebensgefühl, eine Verantwortung für das Leben anderer (sichern bzw. spotten z.B.) und natürlich eine Portion gesunden Egoismus (mein Projekt ist mir am Wichtigsten, die prime conditions will ich nützen, meine Pause ist jetzt, mein Durchstiegsversuch ist jetzt, meine Durchstiegszigarette ist deine Letzte im Packerl, mein Chalk ist das Beste, mein Seil wird genommen, mein Crashpad ist größer,…).
Selbst eine Milliardärin und ihr Grundstücksverwalter konnten das Bouldern auf der Koralm nicht verbieten oder stoppen, Altöl auf Boulderblöcken in Theissenegg waren mehr eine Umweltverschmutzung als erfolgreiche Vergrämungsmaßnahme und auch am Dumpfbackenblick wird die immer wiederkehrende Kuhscheiße abgebürstet und ermöglicht den Blumen an diesem Platz vor den Bouldern ein prächtiges Wachstum. Man kann es auch mit einem Zitat der Band „Wir sind Helden“ abschließen: „Wir sind gekommen um zu bleiben“.
Am Besten im Einklang mit Gesetzen, noch besser im Einvernehmen mit Besitzern, aber nicht alles im Leben ist ein Konsens. Abgesehen davon solltet ihr immer unterscheiden, ob dies ein Gebiet mit überregionalem Interesse wird, welches Leute von nah und fern anzieht. Wie das Maltatal, das Zillertal oder das Tessin es sind. Oder ist es lediglich von lokaler Bedeutung und am Wochenende treffen sich max. 5 Leute dort? Das Interesse an einem Gebiet wird natürlich steigen, je diverser die Schwierigkeitsgrade sind und je mehr Boulder dort zu finden sind. Viele leichte Boulder werden gleich einmal abgehakt sein, aber zu Projekten kehrt man immer wieder zurück und das vergrößert natürlich das Interesse der Community.

Links ungeputzt, rechts geputzt.

Freude kommt nacht dem Putzen.
Werkzeug
Je nach Gestein und Ausmaß des Bewuchses eignen sich unterschiedliche Bürsten. Bei weichen Gesteinen wie Kalk kommen fast nur Kunststoffbürsten zum Einsatz. Bei oben erwähnten Felsen allerdings stehen wir vor so etwas wie metamorphitem Gestein – sehr alt und sehr hart. Da hilft nur die Drahtbürste und der Fels hält das locker aus. Für die Grundreinigung montiere ich die Drahtbürste gerne auf einen Holzstiel, damit sich auch die Reichweite vergrößert. Das ist spätestens dann Gold wert, wenn man im Seil hängt oder auf einer Leiter steht und so viel wie möglich putzen will. Für das Entfernen von Staub und Erdresten bietet sich eine langborstige Kunststoffbürste an. Einzelne Griffe und Tritte bekommen dann noch einmal die volle Aufmerksamkeit geschenkt und werden auf Festigkeit und Zuverlässigkeit geprüft. Je nach Felsart, Schichtung und Zusammensetzung kann der Fels zwar hart, aber auch spröde sein. Beim besagten Gestein haben wir genau diesen Fall und manche vielversprechende Griff- bzw. Trittmöglichkeiten brechen unverhofft aus. Auch größere Felsplatten, die sich bei Belastung nach unten bewegen, werden entfernt, damit keine nachfolgenden Kletterer darunter begraben werden. Ich sorge also bestmöglich dafür, dass die Linien nicht nur sauber, sondern auch stabil und so sicher wie möglich sind, denn abplatzende Leisten und zerbröselnde Tritte können zwar vorkommen, sollen aber durch ordentliche Arbeit vermieden werden und so das Erlebnis (auch für einen selber) wesentlich angenehmer gestalten.

Die Wahl der Waffen, auf gehts.

Da war Stephan noch sauber…

… auf das Werkzeug acht geben …

… nach getaner Arbeit.
Putztaktik
Ich habe mich dafür entschieden mir Zeit zu lassen. Das heißt, ich putze einen Block und dann wird gebouldert. So schrubbe ich nicht nur stupide vor mich hin, sondern kann gleichzeitig neue Boulder klettern. Natürlich lasse ich meine Insta-Gemeinschaft daran teilhaben und das Interesse an Blöcken und Linien steigt. Es trudeln auch Anfragen ein und Angebote mir beim Putzen zu helfen. Die Wenigsten haben allerdings eine Ahnung davon, was es heißt, bei mehr als 25°C im Wald staubige Flechten und Moos von einem Felsen zu bürsten. Schwitzend und dreckig erinnert man mehr an einen entstellten Waldschrat als an den Hipster-Lifestyleboulderer aus der freshen Boulderhalle, der glaubt mit einer 15€ Naturholzwildschweinhaarbürste viel bewegen zu können. Wir reden hier von richtigem dirty business…das Foto vom abendlichen Schneuzen erspare ich dem Internet jetzt. Wobei man sich das schon ganz gut vorstellen kann, wenn das Foto meiner Füße betrachtet wird. Auch im Sommer zahlen sich bei dieser Arbeit lange Hosen durchaus aus.
Die Insta-Putzhilfen reagieren dann meistens etwas zurückhaltend, wenn ich dann antworte, er/sie braucht zusätzlich zur Boulderausrüstung noch einen Gurt, ein GriGri oder ähnliches, eventuell eine Leiter, Bandschlingen, Reepschnüre, Karabiner und Bürsten aus dem Baumarkt. Dann verlaufen sich die meisten Angebote schneller als sie gekommen sind, und es war doch die Nacht davor zu lange oder man hat das lange Bikewochenende total vergessen und ist schon fix verplant.

Vorher

Nachher
Insgesamt warten 16-18 Blöcke und etwas mehr als 30 Linien darauf erbouldert zu werden. Nur jetzt im Juli habe ich, wie so oft in meinem Kletterleben, wieder eine Hochphase der Motivation und beschließe wieder richtig fit zu werden (für meine Verhältnisse). Deswegen lasse ich die Putzerei nun ruhen. Soll das jetzt heißen die Stunden und Arbeit, die ich schon reingesteckt habe, die Zeilen, die ich darübergeschrieben habe, all das ist umsonst und die Blöcke harren weiter unentdeckt in den steirischen Wäldern? Nun, ganz so ist es nicht. Ich habe mich viel mehr dafür entschieden, es frei zu geben. Das heißt, ich weihe Interessierte und Motivierte ein, zeige Ihnen das Gebiet, auch das Potential, das noch schlummert und wenn jemand motiviert ist und es sich antun will, dann locken noch ein paar First Ascents und ewiger Ruhm, wenn per Mundpropaganda von ein paar guten Bouldern erzählt wird, die man sich ja mal anschauen kann und man kennt jemanden, der jemanden kennt, der schon einmal dort war. Wie heißt es im Film Rock’n Rolla? „There is no school like oldschool…!“ Doch warum per Hörensagen weitergeben? Kommen wir zum letzten Punkt des Erschließertums:

Die Belohnung für viel Arbeit.

Rauf gehts.
Veröffentlichung
Da ich nichts mit einem Grundbesitzer abgesprochen habe, nehme ich Abstand von einer Veröffentlichung für alle. Das ist traurig, weil ich der Überzeugung bin, dass Veröffentlichungen mit allen Informationen zu einem friktionsfreieren Miteinander beitragen als Hören-Sagen-Gebiete und Geheimnistuerei. Vielleicht macht jemand den Grundbesitzer ausfindig und fragt ganz offiziell an. Eventuell werden die umliegenden Gastronomieunternehmen eines Tages Kletterer/Boulderer als Kunden wahrnehmen, die gerne Bier trinken oder sich nach einer Eispalatschinke sehnen und auch ihr Geld in ein gutes Service investieren, aber bis zu diesem Zeitpunkt – ihr habt vielleicht noch den Abschnitt über Besitzer und Bewahrer im Kopf – wird es wohl SO funktionieren müssen… oder auch nicht.

Ganz am Ende, noch was süßes.
Fazity
Ich hatte jedenfalls eine gute Zeit dabei. Hhabe mich über sehr schöne 6A-6C Boulder gefreut, mich am Ausstiegsmantle auf Grund der Höhe zu Tode gefürchtet, in einem sehr niedrigen Boulder zig Versuche gebraucht um meinen Hintern vom Boden zu heben, Linien gesehen, die uns früher nie aufgefallen sind und durfte einige Leute bereits in dieses Gebiet mitnehmen und alle waren begeistert, dass jemand auch diese relativ leichten Linien putzt. Wenn dann eine gute Freundin mit einem Smile über das ganze Gesicht einen Boulder aussteigt, in den sie eine halbe Stunde lang reinprojektiert hat, dann hat sich das Alles schon auch ausgezahlt. Mit diesen Zeilen und diesen letzten Worten ist auch wieder ein Fünkchen Motivation für die Fertigstellung da, allerdings nicht alleine. Schauen wir mal was passiert. 😉

Steckbrief – Stephan
Jahrgang: 1985
klettert seit: 13 Jahren, so oft als möglich
arbeitet: Pädagoge (aber nicht so einer mit viel Kohle und dem vielen Urlaub – eher lower end)
mag: bouldern und kurze Routen, die Jungs aus der Weststeiermark, Routen einbohren (ca. 15 bis jetzt), Boulder putzen (50+ bis jetzt), Katzen
mag nicht: Ausdauerrouten, Schitouren
mag manchmal: Semi-Alpine Mehrseillängentouren, Plaisierklettereien, Schneeschuhtouren, Wanderungen, Hunde
liebt: seine Gefährtin
aufgewachsen: in Voitsberg, in Graz studiert, jetzt in GU daheim
kletterte: eine 8a *jippieh*
boulderte: noch keinen 7C *buuhuhu*